Der Industriesektor ist nach der Energieerzeugung der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen in Deutschland. Der Industrie kommt am Wirtschaftsstandort Deutschland damit eine zentrale Rolle zur Begrenzung der Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad, wenn möglich auf 1,5 Grad Celsius, zu. Die Dekarbonisierung der Industrieprozesse ist somit ein wichtiger Schlüssel zur Erreichung der Klimaschutzziele und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie in einer klimaneutralen Wirtschaft.

Die Dirty 30

Die Dirty 30 – die 30 CO2-intensivsten Industrieanlagen verursachten insgesamt 58 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2022. Das sind rund 8 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen und rund ein Drittel der gesamten Industrieemissionen der im Klimaschutzgesetz (KSG) definierten Emissionen des Industriesektors für 2022. Das hat das Öko-Institut in einer Analyse basierend auf den Daten des EU Emissionshandels im Auftrag des WWFs berechnet. Die ersten 13 Ränge in der Dirty 30 entfallen auf die Eisen- und Stahlerzeugung. Somit ist die Eisen- und Stahlerzeugung mit 51 Millionen Tonnen CO2 Emissionen der größte Teilsektor. An zweiter Stelle folgen die Emissionen aus der Zement und der Kalkherstellung, die 2022 27 Millionen Tonnen verursachten. An dritter Stelle finden wir die Chemieindustrie, die 2022 Emissionen in einem Umfang von 14 Millionen Tonnen CO2 emittierte.

Viele Jahre lang stand die Energiewirtschaft zu Recht im Zentrum der Klimaschutzpolitik. Doch der Beschluss zum Kohleausstieg und der Ausbau der Erneuerbaren Energien sorgten dafür, dass die Energiewirtschaft eine deutliche Reduktion ihrer Emissionen realisieren konnte: um rund 36 Prozent zwischen 2013 und 2021. Die Industrie, als Sektor mit den zweithöchsten Emissionen in Deutschland verharrt viel zu lang als aus Klimaschutzsicht sinnvoll auf einem größtenteils konstanten Emissionsniveau. Um Deutschland auf den Weg einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik für die Industrie zu bringen, fordert der WWF die zügige Umsetzung politischer Maßnahmen.

WWF-Podcast: Die Dirty Thirty – Vom CO2-Problem der Industrie

Eine integrierte Klimaschutz- und Industriepolitik als Chance

Die für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens notwendigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft bergen sicher viele Herausforderungen, aber auch Chancen und Möglichkeiten. Die Entwicklung von treibhausgasneutralen und ressourceneffizienten Techniken und Produktionsverfahren wird den Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft langfristig stärken. Weltweit wächst der Bedarf nach nachhaltigen Spitzentechnologien und klimaneutralen Geschäftsmodellen exponenziell. Deutschlands exportorientierte Industrieunternehmen, Forschungseinrichtungen und Zulieferbetriebe können mittel- und langfristig von klugen Investitionen in global wachsende „Klimaschutzmärkte“ profitieren.

Viele Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft, die sich durch Innovationen auf dem Weg zu einer klimaneutralen, von Kohle, Erdöl und Erdgas unabhängigen Industrie ergeben, sind noch ungenutzt. Sie müssen ein viel stärkerer Treiber einer deutschen und europäischen Industriepolitik werden. Das erfordert aber auch eine stärkere politische Gestaltung: Die Bundesregierung muss ihre Zurückhaltung aufgeben und im Sinne einer integrierten Klimaschutz- und Industriepolitik zügig die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Auf diese Weise werden die Voraussetzungen für eine prosperierende, soziale Marktwirtschaft in einer klimaneutralen Welt geschaffen.

Handlungsbedarf in allen Industriebranchen

Das Klimaschutzgesetz legt fest, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird und definiert für jeden Sektor Emissionsminderungsziele für 2030. Für 2030 verfolgt die Industrie ein Sektorziel von 118 Millionen Tonnen CO2-Äqu. Um das zu erreichen, ist eine jährliche Emissionsminderung von rund zehn Millionen Tonnen CO2-Äqu. notwendig. Allerdings befinden sich die Emissionen in der Industrie seit 2013 auf einem konstanten Niveau. Das muss sich ändern. Ambitionierte und umfassende Schritte für mehr Klimaschutz im Industriesektors sind zwingend nötig.

Dabei ist ein Handeln über alle Industriebranchen hinweg nötig. Als größte Emittenten stehen dabei die Eisen- und Stahlherstellung, die Zementindustrie und die Grundstoffchemie zur Herstellung von Kunststoffen besonders in der Verantwortung.

Die wesentlichen Hebel zur Reduktion der Industrie-Emissionen sind:

  • die Steigerung der Energieeffizienz, also die Minimierung des Energiebedarfs in den Produktionsprozessen durch die Verwendung neuester Verfahren und Prozesse nach dem aktuellen Stand der Technik
  • grundlegender Paradigmenwechsel bei der Kreislaufwirtschaft, um vollen Klimaschutzbeitrag durch Materialsubstitution, Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit und eine intensivere bzw. geteilte Nutzung von Produkten zu ermöglichen
  • die Umstellung auf neue klimafreundliche bzw. klimaneutrale Prozesse, z. B. Wasserstoff-Direktreduktion in der Stahlherstellung
  • das Abscheiden und Weiterverwenden (Carbon Capture and Utilization, CCU) bzw. Speichern (Carbon Capture and Storage, CCS) von anderweitig nicht vermeidbaren CO2-Emissionen, die zum Beispiel in der Zementindustrie vorzufinden sind. Die Bundesregierung erarbeitet seit März 2023 eine Carbon Management Strategie, unter Beteiligung von Stakeholder:innen. Sie soll Rahmenbedingungen für das Nutzen von Carbon Capture and Storage (CCS) bzw. Carbon Capture and Use (CCU) in Deutschland schaffen. Ende 2022 hatte die Bundesregierung den Evaluierungsbericht zum Kohlendioxid-Speicherungsgesetz (KSpG) beschlossen, der alle 4 Jahre vorgelegt werden muss. Der Bericht fasst neue wissenschaftlichen Erkenntnisse zu CCU und CCS zusammen und gibt einen Überblick über die aktuelle Rechtslage. Zudem enthält er einen Ausblick auf die anstehende Carbon Management Strategie. 

Für die Umsetzung dieser technischen Hebel und einen ambitionierten Klimaschutz sind entsprechende energie-, klima- und industriepolitische Weichenstellungen nötig. Der zu schaffende politische Rahmen sollte dabei einen breiten Instrumentenmix aufgreifen und dafür sorgen, dass die Transformationen nicht nur aus Klimaschutzperspektive, sondern auch wirtschaftlich attraktiv sind.

WWF-Kernforderungen

Es gilt jetzt, durch entschlossenes Handeln im Sinne einer integrierten Klimaschutz- und Industriepolitik den Weg zu Nullemissionen in der Industrie zu bereiten und Investitions- und Planungssicherheit zu schaffen.

  • Beendigung der kostenlosen Zuteilung im Emissionshandelssystem (EU ETS) - 2034 ist zu spät als Ausstiegsdatum. Ein deutlich früheres Auslaufen hätte schneller zu einem wirksamen Preissignal geführt, das Anreize zur Dekarbonisierung setzt. Um Fehlanreize solange zu vermeiden, sollten Gegenleistungen eingeführt werden.
  • Diese Gegenleistungen sollten nicht nur im Rahmen der kostenlosen Zuteilung implementiert werden, sondern generell bei der Vergabe von Subventionen und Entlastungen, die die Industrie erhält.
    • Dazu sollte gehören, dass sich Unternehmen wissenschaftlich fundierte Klima- und Umweltziele setzen (Science Based Targets) und mittel- bis langfristige Transformationspläne vorlegen. Zudem sollten die erhaltenen Gelder an Investitionen seitens der Unternehmen in Energieeffizienz, klimafreundliche Prozesse und den Ausbau Erneuerbarer Energien gebunden werden. Dafür sollten Unternehmen verpflichtend Energie-und Umweltmanagementsysteme betreiben, die mit THG Erweiterungstabellen ergänzt werden müssen. Zu diesem Ergebnis kam auch eine jüngst vom WWF veröffentlichte Analyse.
  • Veröffentlichung einer umfassenden Industriestrategie für Deutschland, die die Einzelmaßnahmen des Sektors strategisch zusammenführt.
  • Klimaschutzverträge dürfen nicht für die Subventionierung von blauem Wasserstoff verwendet werden, da sonst Lock-In-Effekte entstehen können und eine Umstellung auf grünen Wasserstoff verschleppt werden könnte.
  • Förderung für Investitionen in klimaneutrale Technologien.
  • Etablierung von Leitmärkten für klimaneutrale Materialien und Produkte durch nachhaltiges Beschaffungswesen bei Bund, Ländern und Kommunen
  • Anpassung der Regelungen des unternehmerischen Berichtswesens an die Empfehlungen der G20 Taskforce on Climate-related Financial Disclosures (TCFD)
  • Entwicklung des regulatorischen Rahmens zur Unterstützung für Unternehmen bei der strategischen Vorbereitung auf den Klimawandel.

Weitere Informationen

  • Aktionstag Blauer Engel - Kooperation IBTT und WWF Deutschland für die Prodution von Stoffspielzeug nach den Kriterien des Blauen Engels © Toni Kretschmer / Offenblen Zusammenarbeit mit Unternehmen

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